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JUNO TALKS mit Jan-Frederic Goltz

Jan kam direkt von der Uni zu uns. Jetzt führt er sein eigenes Designbüro und unterrichtet junge Gestalter*innen. Was man im Nachtleben und an der Kletterwand über Design lernt, wie man Mentor wird und warum er mit JUNO verbandelt bleibt – ein Gespräch anlässlich 25 Jahre JUNO Legacy.

Jan-Frederic Goltz, Art Director und Founder Atelier Disko. © René Zieger

Für welchen epischen Fail bei JUNO bist du heute noch dankbar?

Ich musste alleine für einen Interviewdreh nach München fliegen. Nach zwölf Stunden Arbeit fuhr ich mit meinem Ansprechpartner ins Hotel und wollte nur noch schlafen – leider hatte der Kunde vergessen, mir ein Hotelzimmer mit zu reservieren. Messe. Alles ausgebucht. Der Portier hatte Erbarmen und ich durfte in der Umkleidekabine der Hotel-Sauna auf einem Klappbett schlafen. Morgens wieder um 6:30 Uhr raus – ohne Frühstück. Zum Glück kam niemand auf die Idee, zu saunen. Das war schon ziemlich wild. Aber im Nachhinein natürlich total witzig. Auch von solchen Erlebnissen lernt man eine Menge.

Du kamst direkt von der Uni. Warst drei Jahre bei uns. Hast dich mit eigenem Designbüro »Atelier Disko« selbständig gemacht und dann begonnen, selbst zu unterrichten. Wann hast du gemerkt, dass du bereit bist, dein Wissen weiterzugeben?

Ich hatte schon während des Studiums Tutorien gemacht – zum Beispiel Werkstattkurse für Video und Animation. Das hat mir immer viel Freude gemacht. Als ich dann später als Selbständiger eigene Praktikant*innen und Mitarbeitende hatte, kam das wieder hoch. Ein ehemaliger Kommilitone, mittlerweile Professor, hatte mich gefragt, ob ich nicht an der Brand University unterrichten möchte. Das war während Corona. Seitdem mache ich das ergänzend zu meiner Tätigkeit als Art Director und Geschäftsführer von Atelier Disko, dem Designstudio, das ich zusammen mit meinem Kollegen Rico Lützner leite.

Was muss man mitbringen, um ein guter Mentor zu sein?

Erfahrung. Wenn du zudem mit Empathie rangehst und verstehst, was die jüngere Generation gerade beschäftigt, in welchem Struggle sie steckt und Interesse an ihren Themen hast – dann kannst du ein guter Mentor sein. So zu tun, als wäre man noch 20, ist der falsche Ansatz. Mein Anspruch ist, meinen Studierenden ein realistisches Gefühl für die Berufswelt zu geben. Als Beispiel: Ich versuche tatsächlich, sie bewusst Fehler machen zu lassen – etwa in einem Pitch-Szenario mit NDA-Klauseln, die überhaupt keinen Sinn ergeben.

Was sind das für Klauseln?

»Mit der Teilnahme am Pitch verpflichte ich mich, dem Auftraggebenden 2.000 Euro zu überweisen.«  Dann kommen die unterschriebene PDFs zurück und ich sage: »So, von euch krieg ich jetzt jeweils 2.000 Euro.« Damit will ich zeigen: »Schaut auf jedes kleinste Detail. Fragt nach, wenn euch etwas komisch vorkommt.« So lernen sie, sorgfältig zu sein.

Welches Fach unterrichtest du?

Art Direction.

Wie lernt man als junger Mensch, Gestaltung eine Richtung zu geben?

Ich starte mit einer Art Druckbetankung in Gestaltungsgrundlagen, denn viele Studierende beherrschen einfache Design-Basics nicht mehr. Dabei ist Art Direction etwas Ganzheitliches: Du musst das große Ganze im Blick behalten und zugleich die Details zusammenführen – von der Detailtypografie bis zur großen Kampagne. Das umfasst Konzeption, Technik, Gestaltung – und nicht zuletzt Inspiration. Input ist wichtig, aber man sollte sensibel damit umgehen, denn er prägt stärker, als man denkt – und schwupps ist die vermeintliche Inspiration unbewusst im eigenen Entwurf gelandet. Als Art Director trägst du Verantwortung dafür, dass alles konsistent wirkt und die Gewerke ineinandergreifen – sei es in einem feingranularen Designsystem oder einem kompletten Markenauftritt. Das hat für mich etwas von Regiearbeit.

Was muss man machen – Studium, Zusatzausbildung – um als junger Mensch zu einem*einer guten Designer*in oder Art Director*in zu werden?

Heute musst du als Designer*in wie ein Schweizer Taschenmesser funktionieren: Im Idealfall schreibst du die Headline selbst , wenn kein Text da ist. Weißt, wie man ein Video schneidet, animiert, einen Figma-Prototyp baut oder ein Konzept für eine Startseite formuliert. Und: Du solltest einen Workshop moderieren können. Früher hattest du vielleicht eine klare Rolle – Illustrator*in oder Typograf*in. Heute verschwimmen die Grenzen. Du musst ein Gespür dafür entwickeln, was dein*e Auftraggeber*in wirklich braucht. Wissen, was es an Design schon gab – und was nur ein flüchtiger Trend ist. Erfahrung lässt sich schlecht lernen, sie braucht Zeit. Junge Designer*innen lassen sich häufig von ersten Ergebnissen begeistern, gerade im KI-Zeitalter. Aber gute Gestaltung entsteht, wenn man diese Ergebnisse kritisch einordnet und weiterentwickelt.

Jans neues Tape mit Tracks aus den letzten 20 Jahren
Jan an der Kletterwand

Kann man das im Studium lernen? Da treffe ich ja auf keine Kund*innen.

Im Studium kannst du das immerhin üben und Fehler machen. Die Uni ist da wie eine Art Safe-Space. Kann ja nicht viel passieren, außer einer schlechten Note. Du bekommst Aufgaben, entwickelst Projekte und im besten Fall denkst du dir: »Für wen mache ich das eigentlich?«

Was begeistert heute junge Leute in punkto Design?

Spontan würde ich sagen: Retro-Vibe. Meine Studierenden entdecken auf einmal analoge Fotografie für sich, weil ihnen die Bildästhetik gefällt. Einer von ihnen hat auf dem Dachboden seiner Eltern eine alte MiniDV-Kamera gefunden und die visuelle Sprache mit moderner Digitalfotografie kombiniert – als bewussten Stilbruch. Generell sehe ich: Diese Trends wechseln heute viel schneller. Im Print-Zeitalter hielt ein Trend vielleicht ein Jahr, heute kommen sie digital im Monatstakt. Gleichzeitig spüre ich, dass junge Menschen sich in Zeiten digitalen Überflusses und gesellschaftlicher Verunsicherung auch nach Entschleunigung sehnen – das spiegelt sich in solchen Rückbesinnungen wider.

Und bei dir? Du kletterst, machst Musik, siehst viel Kunst. Was davon hat den größten Einfluss auf dein Design?

Mich hat lange das Nachtleben inspiriert – weniger Party oder Alkohol, sondern dieser Transitraum zwischen Tag und Nacht. In dieser Zwischenzeit habe ich die intensivsten Gespräche geführt, oft mit Menschen, die mir zuvor völlig fremd waren. Aus diesen Begegnungen ist nicht selten Inspiration entstanden.

Also nicht optische Inspos, sondern Inhalte?

Genau. Inhalte, Gedanken. Als Designer*in solltest du in der Lage sein, Inhalte in Gestaltung zu übersetzen.

Ich weiß noch, als du bei uns angefangen hast – da hast du viel Popculture mitgebracht: Dieses Gefühl für Musik, Takt, Schnitt. Das war super bereichernd für uns.

Das stimmt. Ich komme komplett aus der Popkultur. Musikvideos hatten damals ihre Hochzeit – Michel Gondry, Chris Cunningham. Das war visuell total stark. Diese Verbindung aus Audio und Bewegtbild hat mich sehr geprägt.

Wenn du heute auf Design schaust – was kickt dich? Was inspiriert dich aktuell?

Berlin. Zum Beispiel das Kraftwerk in der Köpenicker Straße oder die Boros Sammlung im Bunker – das sind Orte mit Geschichte und enormer Atmosphäre. Das Kraftwerk hat teilweise Ausstellungen, die mich audiovisuell komplett mitnehmen. Da wird auf so hohem Niveau kuratiert, dass du denkst: »Wow, das hab ich wirklich noch nicht gesehen.« Und das richtet sich nicht nur an die breite Masse, sondern ganz gezielt an Nerds und Subkulturen.

Auf deiner Reise durch die Designwelt bist du immer wieder zu JUNO zurückgekommen. Was waren die Gründe?

Erst war ich bei euch angestellt, dann selbständig, dann wieder bei euch – inzwischen mit eigener Agentur auf eurer Bürofläche in Hamburg, zusätzlich zu unserem anderen Standort in Berlin. Ich hab bei euch sehr viel gelernt. Nicht nur auf fachlicher Ebene. Unsere Beziehung ist über die Zeit und verschiedene Phasen der Zusammenarbeit persönlicher geworden. Ihr wart meine Mentoren, jetzt sind wir Family.

Vielen Dank!