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Interview – Nursema Yilmaz

Wie man den Weg als Designer*in findet und dabei Religion zum Teil der eigenen Gestaltungssprache macht. Talk mit Nursema Yilmaz, Praktikantin bei JUNO.

Nursema Yilmaz

Was hat dich von Pforzheim nach Hamburg verschlagen?

Ich studiere Visuelle Kommunikation in Pforzheim. Normalerweise macht man dort sein Pflichtpraktikum im 5. Semester. Aber durch die Pandemie ist bei mir alles durcheinander geraten. Ich habe mich im Vierten entschieden, ein Auslandsjahr in Südkorea zu machen, also bin ich jetzt eigentlich schon im 7. Semester. In Südkorea habe ich eine Freundin kennengelernt, die aus Hamburg kommt. Das hat mich animiert, mich hier zu bewerben.

Wie kam das mit Südkorea?

Timing. Bei uns an der Hochschule waren Austausch-Student*innen aus Südkorea da. Ich habe mich mit ihnen angefreundet und bin dann irgendwann auf die K-Pop- und K-Drama-Schiene geraten. Ich fand die Sprache schön, kannte Leute in Seoul und habe dann zu meiner Freundin gesagt: Ich komme auch. Insgesamt war ich zehn Monate dort.

War es gut, dort zu studieren?

Ich fand in Seoul die Balance zwischen urban und Natur sehr gelungen. Man kann in drei Stunden am Meer sein oder in den Bergen. Im ersten Semester dort habe ich viel Back-to-the-roots gemacht, also so was wie Holzschnitzen. Wir hatten aber auch Kurse zu Druck, Bindetechniken und Plakatgestaltung. Da habe ich viel gelernt. Die meisten Kurse waren auf Koreanisch. Aber ich konnte viel mit meinen Händen arbeiten. Da war das mit der Sprache gut machbar. Häufig hatten die Student*innen dort eine Menge drauf. Zum Beispiel in puncto 3D, aber auch ästhetisch. Das Angebot an handwerklichen Kursen an der Hongik University hat mich begeistert. Die Universität bietet Zukunft und ist bemüht darin, Technologien voranzutreiben. Gleichzeitig wahrt sie Tradition und lehrt jahrhundertealtes Handwerk. Ich habe einige Ausstellungen besucht, denn es ist für das Wintersemester üblich, dass die Student*innen ihre Arbeiten präsentieren. Ich habe immer gemerkt, wie ernst sie ihre Arbeiten, die Präsentation und die Kritik nehmen. Auch im Unterricht war ich immer verblüfft über die Fähigkeiten der Student*innen und ihren Umgang mit den Programmen. Die Ausführung ihrer Arbeiten war stets professionell.

Seoul ist supermodern und die K-Pop-Videos zum Beispiel sind krass mit CGI produziert. Oder in der Stadt selbst checkt man sich ständig und überall per QR-Code ein. Mit der Super-App »KakaoTalk« kannst du gefühlt fast alles machen. Ich fand beeindruckend, wie connected alle sind. Nicht nur bei Social Media – sondern um die gesamte Art und Weise wie Geld, Transport, Online-Einkauf und Corona-Maßnahmen digital geregelt werden. Es hat sich schon gut angefühlt, als mein Handy endliche alle Kriterien erfüllt hat und ich es nutzen konnte wie jede*r Einheimische. Dazu gehören Dinge wie ein koreanisches Konto sowie eine koreanische Handynummer. Es war einfach cool und viel bequemer, ein Teil von diesem digitalen Netzwerk zu sein. Ich kann allen nur raten, für eine Weile im Ausland zu studieren.

Und wie war dann der Weg zu JUNO?

Wir erhielten von einem unserer Professoren einen Link zu »studio-index«, in dem Grafik-Design-Studios aus aller Welt aufgelistet waren und ich habe nach der Stadt gefiltert und mir unter anderem auch JUNO angeschaut. Eure Website hat mich sehr angesprochen. Es ist ja so, dass sich die Agenturen aussuchen, wen sie als Praktikant*innen annehmen. Gleichzeitig finde ich es auch wichtig zu sagen: Hey, was gefällt mir eigentlich? Spricht mich die Agentur an? Dann habe ich mir natürlich die Social-Media-Präsenz angeschaut und die hat mir auch sehr gut gefallen. Ich habe mich dann einfach mal beworben. Positiv aufgefallen ist mir auch, dass ich von euch gleich eine Nachricht auf meine Bewerbung bekommen habe und es mit dem Gespräch sehr schnell ging.

War für dich immer klar, dass du Visuelle Kommunikation machen willst?

Bei mir war das tatsächlich schon immer so, dass mir Leute oft verschiedene Dinge geraten haben – vielleicht weil meine Stärken einfach gut erkennbar sind. Das war schon vor dem Gymnasium so und auch zum Studium in Pforzheim. Meine Lehrerin auf dem Gymnasium hat auch in Pforzheim studiert. Ihr Unterricht hat mir sehr gefallen und ich habe 2016 an 3-4 Schnuppertagen an der Design-Fakultät teilgenommen und für mich war klar: Es wird die Hochschule in Pforzheim. Ich sehe mich einfach in der Gestaltung. Ich habe schon immer gemalt. Meine ganze Familie ist künstlerisch begabt – aber ich bin die Einzige, die das jetzt quasi zur Berufung macht. In Pforzheim besuche ich gerne die Kurse von Silke Helmerdig, die künstlerische Fotografie lehrt und Mathias Kohlmann, der freies Zeichnen unterrichtet.

Was interessiert dich besonders am Thema Gestaltung?

Ich weiß, die Zukunft ist digital. Aber ich habe eine Liebe fürs Haptische und zum Analogen. Ich mache auch analoge Fotografie . Das ist etwas, was ich nicht loslassen kann. Papier, Bindungen und solche Dinge fehlen im Digitalen. Ihr habt bei euch in der Agentur eine gute Balance zwischen beidem. Details machen für mich viel aus.

Nursema Yilmaz fotografiert mit einer analogen Kamera
Illustration »blusworld«

Und wie geht es dir jetzt im Agenturleben?

Ich habe mich immer gefragt, ob ich den Agenturalltag packe – mit aufstehen, arbeiten und Aufgaben lösen. Hier mache ich die Erfahrung, dass ich das kann. Ich habe viel über Teamwork gelernt und ein Feeling bekommen, wie mein Job in Zukunft aussehen könnte. Hier sind Leute mit Erfahrung, die machen das schon länger und es ist cool zu sehen, was die machen und was man mitnehmen kann. Das Praxissemster ist für das Anwenden sehr wichtig. Wir sollen ja Berufserfahrung sammeln und das geht nur, wenn wir im Beruf sind und mitarbeiten dürfen. Ich finde es auch toll, dass wir behandelt werden, als wären wir schon länger Teil des Teams. Man wird ernst genommen und nimmt sich dadurch selbst ernst. Eine Broschüre für die Hamburger Kunsthalle durfte ich hier selbst setzen und da bin ich stolz drauf.

Du engagierst dich in deiner Freizeit auf einer Plattform für kreative BPoCs. Was machst du da?

Ich bin bei einem Fellowship-Programm in Berlin mit dabei, der Datteltäter Academy. Das ist eine Plattform für Kreative aus Bereichen wie Video, Gestaltung, Content, Direktion und mehr. Dort haben wir Mentoren und stellen uns selbst Aufgaben. Das ist supercool, denn ich denke in Deutschland gibt es das nicht so oft. Kreative aus unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen und Glaubensrichtungen bekommen dort eine Bühne und einen Ort zum Austausch. Ich habe das Gefühl, dort muss ich mich nicht groß erklären. Keiner fragt, warum ich ein Tuch auf dem Kopf habe. Schon beim ersten Frühstück haben wir über tiefgründige Sachen gesprochen und Minuten später über andere Themen herzhaft gelacht.

Polaroidbild einer Gruppe von Menschen

Welchen kulturellen Hintergrund hast du?

Ich bin deutsch-türkische Muslima mit Migrationshintergrund. Ich bin hier geboren, spreche die Sprache, ich habe hier meine Freunde und liebe meine Bretzeln. Meine Eltern kommen aus der Türkei.

Worüber tauscht ihr euch in der Datteltäter Academy aus?

Es gibt viele Menschen, die zwischen den Kulturen lost sind. Also bei mir wäre das zwischen Türkisch und Deutsch. Viele wissen nicht genau, wohin sie sich zugehörig fühlen. Für mich war das bisher zwar kein Problem. Aber ich bekomme aus meinem Umfeld mit, dass Leute Jobs nicht bekommen, oder gekündigt werden aufgrund ihres Migrationshintergrundes. In dem Programm mit den Creatives, da kommen wir alle aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Und zusätzlich sind wir alle an Kreativität interessiert – das ist schon sehr attraktiv für mich. Denn so kann ich meine Kultur sowie Religion in meine Arbeit einbringen. Außerdem kann ich dazu beitragen, Safe Spaces wie diesen zu vergrößern und davon zu erzählen. Safe Spaces erfordern nicht unbedingt einen physischen Ort. Reden, verstehen und zuhören – das ist für mich schon ein Safe Space.

Wie gelingt es dir, deine Kultur in deine Arbeit zu integrieren?

Religion ist das Zentrum meines Lebens und hat sich schon immer richtig angefühlt. Ich will Gott in meinen Alltag integrieren. Im Studium zum Beispiel habe ich im zweiten Semester meiner Freundin Anja Saleh geholfen, Gedichte unter dem Titel »Loveletters to Cairo« zu gestalten. Oder ich zeige in einer Fotoserie Muslime in meinem Umfeld. Es prägt mich und ich möchte es nicht außen vor lassen, sondern präsentieren. Auch mein Projekt an der Datteltäter Academy ist religiös inspiriert. Den Versuch, meine Sichtweise nach außen zu tragen und Einblicke darin zu gewähren, finde ich bedeutungsvoll. Dialog und Kommunikation sind einfach super wichtig, egal um was es geht. So lernen und erfahren wir voneinander, anders geht das nicht.

Booklet »Loveletter to cairo«

Was würdest du Agenturen raten, die kulturell offen sein wollen?

Die Menschen zu verstehen. Wo sie herkommen, was ihnen wichtig ist und welche Geschichten sie erzählen. Ein Bewusstsein schaffen für Benachteiligte. Es heißt ja immer: Irgendjemand leidet dadurch, dass ich gesellschaftliche Vorteile habe.

Wie geht es für dich weiter als Designerin?

Ich will noch mehr lernen. Ich habe hier gemerkt, wo meine Stärken und meine Schwächen liegen und ich sehe, wie viel man können muss. Als Designerin reicht es nicht, nur ein, zwei Sachen gut zu können. Am liebsten wäre ich daher eine Art Multi-Gestalterin, die 3D, Animation, Schnitt, Video, Typo und noch viel mehr draufhat. Aber fokussieren möchte ich mich auf Illustration. Das mache ich schon über Jahre und dort blühe ich meisten auf. Ich möchte international unterwegs sein und wäre in Zukunft gern selbständig. Noch habe ich meinen Style nicht gefunden und weiß auch nicht, ob sich das je ergeben wird, aber vielleicht kommen Kunden in Zukunft gerade deswegen auf mich zu und wollen mich genau, weil ich fluide und wandelbar bin – auch in dem, was ich mache.

Illustrationen
Illustration
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