JUNO TALKS mit Manfred Meindl
VAUDE ist 50 Jahre nach Gründung wohl eine der erfolgreichsten und nachhaltigsten deutschen Outdoor-Brands. Ein Grund dafür: Unter Regie von Manfred Meindl wird VAUDE konsequent als Marke mit Haltung geführt, die alle einlädt, gemeinsam für eine bessere Zukunft einzustehen. Ein Gespräch über Haltungskommunikation, Edgyness und Transformation.
Manfred »Manni« Meindl ist seit 2010 bei VAUDE und dort heute Head of Marketing. Zudem ist er Speaker, Podcast-Gast, Wildwasserkajakfahrer, Alpinist und Trailrunner.
Erst Mal herzlichen Glückwunsch! VAUDE feiert 2024 sein 50jähriges und hat zudem dieses Jahr erneut den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Vielleicht eine gute Gelegenheit, noch mal ganz grundsätzlich über die Marke VAUDE zu sprechen. Welches Lebensgefühl verkauft die Marke VAUDE heute?
Es ist das Gefühl, gemeinsam mit anderen etwas erreichen zu wollen und durch mutiges und intelligentes Handeln eine bessere Zukunft zu gestalten. Es ist ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Du bist Teil einer positiven Veränderung.
Kannst du das noch etwas erklären?
Das Thema Nachhaltigkeit spielt bei uns von Anfang an eine große Rolle. Wir wollen durch unser Wirtschaften die Erde auch in Zukunft lebenswert erhalten. Wir wissen aber auch, dass wir dafür Veränderungen und Veränderer brauchen. Darin sehen wir unsere Aufgabe. In unserer Grundhaltung sind wir optimistisch: Durch eigenes, mutiges Handeln können wir etwas Besseres erreichen. Ein VAUDE-Produkt zu kaufen, zu reparieren, zu leihen oder auch weiterzugeben, ist also eine Art Einladung, gemeinsam mit uns und anderen den Weg in eine bessere Zukunft zu gestalten. So würde ich das »VAUDE-Gefühl« beschreiben, das sich als zentrales Motiv durch alle Geschichten zieht, die wir erzählen. Diese Haltung kommt bei unseren Kernzielgruppen sehr gut an.
Welche sind das?
Sie lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Die eine sucht das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie will Teil von etwas Größerem, Sinnvollen sein. Die andere Gruppe ist eher perfektionistisch. Das sind Menschen, die genau wissen wollen, was, wie, wo oder auch aus welchen Materialien etwas hergestellt wird. Was die Altersstruktur betrifft, kannst du im Outdoorbereich grob sagen, das geht von 25 bis 60 mit einer Spitze bei etwa 40–45. Diese Struktur findest du bei allen Outdoor-Marken, außer bei denen, die sehr stark in Richtung Lifestyle gegangen sind. Tendenziell haben unsere Zielgruppen auch ein höheres Haushaltsnettoeinkommen.
Woher wisst ihr, dass ihr eure Zielgruppen mit eurer Story so gut abholt? Die eine Hälfte ist ja eher emotional, die andere rational.
Wir führen laufend klassisches Markentracking inklusive Benchmarks durch. Wir machen auch psychografische Analysen. Letztere allerdings nicht jährlich, weil das zu teuer wäre und Veränderungen nicht so schnell passieren. Aber wir sehen, dass wir mit unserer Markenpositionierung, wie wir die Leute ansprechen und aus welchen Gründen sie uns kaufen, sehr gut on track sind.
Zurück zur Marke. Gab es die Weltveränderungs-Idee schon von Beginn an?
Einige Aspekte davon sind seit der Unternehmensgründung präsent. Vor allem das Thema Innovation – also die Lust, innerhalb unseres Handlungsspielraums etwas Neues zu schaffen. Das war von Anfang an Teil der Kultur. Mit der Übergabe des Unternehmens vom Gründer Albrecht von Dewitz an seine Tochter Antje und dem Einstieg in die nachhaltige Transformation hat sich die Geschichte weiterentwickelt. So wurde ab 2009–2010 das »Gemeinsam für eine bessere Zukunft« intensiviert und seither kontinuierlich weiterentwickelt.
Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ihr ein Familienunternehmen seid.
Ja, ich denke das Gefühl für Verantwortung und die Gemeinschaft wird dadurch noch gestärkt.
Welches sind markenstrategisch für dich aktuell die größten Herausforderungen?
Unsere Positionierung steht. Wir haben für uns auch geklärt, dass wir politische Haltungskommunikation betreiben und damit in die Öffentlichkeit gehen. Als Nebeneffekt sehen wir, dass uns das bei der Positionierung der Marke hilft und wir damit mehr Reichweite generieren als mit klassischer Produktkommunikation. Meine Herausforderung ist, wie ich das Thema Haltungskommunikation in Ländern wie Frankreich, Italien, Großbritannien, Skandinavien mit begrenztem Budget entwickeln kann. Dort sind wir als Marke historisch weniger stark als hierzulande und haben nicht die gleichen Medienkontakte. Und das dort aufzubauen, ist, würde ich sagen, meine große strategische Herausforderung in den nächsten Jahren. Das geht nicht über Nacht.
Was versteht du unter Haltungskommunikation?
Es geht nicht um klassische Produkt- oder Markenwerbung. Es geht darum, als Marke zu zeigen, wo man steht und wofür man kämpft. Da diese Themen in der Regel deutlich relevanter sind, kann man über Jahre eine entsprechende Glaubwürdigkeit, Positionierung und Reichweite erreichen. Interessanter Nebeneffekt, innerhalb unserer Branche ist eine klare Haltung zu gesellschaftspolitischen Themen ein klarer Treiber entlang der Customer Journey.
Erreicht ihr mit Haltungskommunikation alle eure Käufer*innen?
Ja, es erreicht alle Zielgruppen. Sowohl die Perfektionisten als auch diejenigen, die Anschluss suchen – von der Awareness bis zum Purchase. Zu wissen, wofür ein Unternehmen und seine Produkte stehen, ist entlang der Customer Journey sehr, sehr wichtig. Als Unternehmen haben wir viele Berührungspunkte mit gesellschaftspolitischen Themen und können hier sehr gut Position beziehen.
Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Pickt ihr euch Themen raus und sagt ganz bewusst, dazu betreiben wir Haltungskommunikation?
Abgeleitet aus unserer Unternehmenskultur war uns schnell klar, in welchen Themenfeldern wir aktiv werden wollen und können. Also zum Beispiel Klimaschutz, Klimawandel, Diversity, partnerschaftlicher Umgang mit den Menschen bei uns im Unternehmen und in den Produktionsländern, Lieferketten, Frauenquote. Oder auch als Befürworter der Europäischen Union. Um hier kompetent agieren zu können, lesen wir u.a. auch Papiere der Parteien oder Gesetzesentwürfe aus Brüssel, gleichen diese mit unseren Positionen und Erfahrungen als Mittelständler ab, erarbeiten Aktivitäten und Positionspapiere und stimmen uns intern ab, um eine einheitliche Kommunikation zu haben.
Man sieht bei euch, wie wichtig die einzelne Person beim Thema Haltungskommunikation ist. Antje kann man sicher schon als Influencerin bezeichnen. Ist das so gewachsen, oder war die Strategie?
Sie ist in diese Rolle hineingewachsen. Heute ist sie im Rahmen der Gesamtmarkenstrategie klar als Markensprecherin positioniert. Sie verkörpert das Unternehmen und die Marke. Was wir jetzt strategisch bearbeiten, ist, diesen starken Fokus auf sie auch auf andere Personen zu verteilen. So dass mehrere in ihren jeweiligen Communities Themen setzen und die Marke mit Geschichten aufladen können.
Oder sich eben bewusst zu entscheiden, wo man nicht mehr auftaucht.
Das ist richtig. In der Presse wurde sehr stark wahrgenommen, dass wir uns von X verabschieden und die Werbung in den sozialen Medien einstellen. Wir beobachten sehr genau, in welchen Umfeldern wir werben. Vor Jahren haben wir sehr viel über Google Display geworben. Da musste man schon aufpassen, nicht auf Seiten wie Breitbart, Fox News oder Bild zu landen. Dafür haben wir unsere Umfeldanalysen professionalisiert und ausgebaut. Welche Werbekanäle geniessen das grösste Vertrauen und werden am meisten genutzt? Welche passen zu unseren Positionen? Klassische Medien, ob Print oder Online, sind für unsere Branche relevanter als soziale Netzwerke. Bei X haben wir für uns erkannt, dass es nicht mehr die Plattform ist, auf der wir ursprünglich live gegangen sind. In den sozialen Netzwerken können wir das Umfeld für unsere Werbemaßnahmen nicht mehr kontrollieren. Gerade in diesem sehr politischen Jahr 2024.
Welche Kanäle funktionieren für Haltungskommunikation am besten?
Ich finde zum Beispiel LinkedIn gut. Mein Eindruck ist, dass sich die Unternehmen noch nicht so richtig trauen. Man kann dort tiefer in Themen einsteigen und bekommt mehr Aufmerksamkeit für das, was einem als Marke und Unternehmen wichtig ist. Bei Instagram ist die Aufmerksamkeitsspanne deutlich geringer. Das sind eher Bilder, Videos. Kaum Text. Und bei TikTok ist es noch stärker. Auch wenn es langsam mehr »Social Media« wird, ist bei LinkedIn immer noch mehr Substanz in den Aussagen, Kommentaren und Diskussionen als auf den anderen Plattformen.
Täuscht es, oder wirst du selbst auf LinkedIn auch immer politischer? Ich habe letztens ein Kommentar von dir zur FDP in Thüringen gelesen.
Wenn ich in der Politik Bullshit höre, egal von welcher Partei, dann kommentiere ich das gerne ironisch. Das mache ich auch privat.
Sprechen wir mal kurz über Benchmark. Du hattest das oben erwähnt. Wer macht aus Markensicht und in der Kommunikation einen guten Job in eurer Branche?
Patagonia. Die machen das sehr kommerziell und amerikanisch. Fordernd in der Sprache. Protestiere! Steh für deine Sache ein! Rebellisch in der ganzen Art. Die VAUDE-Kommunikation betont bei ein und demselben Thema das Gemeinschaftliche. Beides ist richtig. Aber völlig unterschiedlich in der Kommunikation. Und auch in der Marke. Wir haben zwar Überschneidungen in den Zielgruppen. Aber in der Positionierung sind wir unterschiedlich. Jemand, der ein Patagonia-Shirt kauft, um etwas Bestimmtes zu sagen, würde wahrscheinlich kein VAUDE-Shirt kaufen und umgekehrt. Ich beobachte, was sie machen, aber ich sehe Patagonia nicht als direkten Konkurrenten von uns. Sie sprechen andere Leute an als wir.
Edgy und laut sein, kann eine Marke ja aber auch lifestyliger und emotionaler machen. Ich habe den Eindruck, dass Lifestyle für Outdoor in vielen Bereichen wichtiger wird. Wanderer zum Beispiel werden immer jünger und femininer. Menschen in der Stadt tragen gerne Outdoor als Lifestyle. Kann es sein, dass ihr mit dem Fokus »Gemeinschaft« niemand erschrecken wollt?
Da würde ich dir widersprechen. Wir sind nicht Everybody's Darling. Allein schon, weil wir uns sehr stark gegen Rechtsextremismus engagieren. Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Prozent der Bevölkerung in Deutschland deshalb sagen: Okay, dann ist VAUDE nicht mehr meine Marke. Aber natürlich wollen wir die Menschen mitnehmen. Mit zu viel Edge schließt man schnell Leute aus. Wir gehen eher mit offenen Armen in die Kommunikation und sagen gleichzeitig glasklar, wofür wir stehen. Ein bisschen rebellisch ist also auch in VAUDE drin. Aber viel mehr das Inklusive, das Gemeinschaftliche. Das ganz Revoluzzerhafte überlassen wir anderen Marken.
Mir ist aufgefallen, dass ihr dieses Jahr eure Startseite verändert habt. Hängt das mit dem Jubiläum zusammen und ist das schon ein Rebranding oder Finetuning?
Eher ein Feintuning. Wir optimieren unsere Webumgebungen kontinuierlich. Bei unserem letzten technischen Relaunch haben wir auch Teile des Designs in Richtung eines zeitgemäßen Look and Feel überarbeitet. Dabei sind natürlich auch Aspekte der Markenpositionierung eingeflossen. Darüber hinaus spielen wir mit dem Logo – wie jetzt mit dem Regenbogen oder der 50 – zu bestimmten, für uns relevanten Themen.
Als Haltungs-Brand erkenne ich euch auf der jetzigen Startseite nicht auf den ersten Blick.
Wir planen fortlaufend, welche Themen auf welchen Kanälen gesendet werden. Das machen wir einmal im Monat. In diesen Meetings analysieren, diskutieren und planen wir das nächste Quartal in Bezug auf Themen und Kanäle. Dabei kann es vorkommen, dass wir ein und dasselbe Thema auf verschiedenen Kanälen unterschiedlich spielen. Ein klarer Haltungspost auf LinkedIn kann dann zielführender sein als der Weg über die Website.
Lass uns ein wenig in die Glaskugel schauen. Ihr habt in den letzten 50 Jahren aus eigener Kraft eine beeindruckende Marke aufgebaut. Was denkst du, welche Herausforderungen kommen auf eure Marke VAUDE als nächstes zu?
In der EU stehen zwei neue Richtlinien vor der Verabschiedung, die Greenwashing und Verbrauchertäuschung in der Werbung verhindern sollen, bzw. eine ist es auch schon. Es handelt sich um die Empowering-Consumers-Richtlinie und die Green-Claims-Richtlinie. Das wird das Umfeld für umweltbezogene Kommunikation massiv verändern. Es wird Marken geben, die sich dann zurückziehen. Und es wird Marken geben, die dann weiter kommunizieren können. Begriffe wie »klimaneutral« oder »nachhaltig« können dann nicht mehr inflationär in der Werbung verwendet werden. Man wird vieles genauer und wissenschaftlicher belegen müssen.
Für Verbraucher*innen ist es heute wahrscheinlich tatsächlich schwer zu durchschauen, wie »grün« ein Unternehmen ist. VAUDE macht ja viel mehr als die meisten. Denkst du, eure Käufer*innen verstehen euren Level an Nachhaltigkeit in seiner Gesamtheit?
Wir dürfen nicht nur auf Konsument*innen blicken. Ich muss auch den Handel überzeugen. Deren Einkauf ist anspruchsvoll und erwartet von uns höchste Kompetenz. Sie nehmen das wahr und prüfen es. Ich glaube, dass Teile unserer Zielgruppen unsere Bemühungen rund um nachhaltiges Wirtschaften auch in der Tiefe erkennen. Aber die breite Masse? Jedenfalls sind wir in der – ich nenne es mal »Bio-Krise« – nicht so abgestraft worden wie andere Marken. Denn unsere Produkte sind funktional, gut gestaltet und preislich nicht abgehoben. Und vor allem: Sie sind die nachhaltigsten, die es in diesem Bereich gibt. Das merken die Leute.
Was denkst du, wie wird sich die Klimadebatte entwickeln? Wir hatten ja jetzt die EU-Wahlen, bei denen die Grünen stark verloren haben.
Im Moment arbeiten wir alle noch mit dem Narrativ: Wir können etwas gegen den Klimawandel tun und wenn wir uns anstrengen, dann kriegen wir das in den Griff. Es gibt aber sehr starke Beharrungskräfte, die im alten Lebenssystem bleiben wollen, was zu prognostizierten Extremszenarien führen kann. Ich bin gespannt, wann der Groschen fällt und wir zum Narrativ kommen: Okay, es wird scheiße. Wie können wir uns anpassen? Dann wird man auch in der Kommunikation wieder einen Shift spüren. Als Marke, die sich stark um das Narrativ des Wandels positioniert hat, wird das auch für uns interessant.
Ein Blick in die nächste Glaskugel. Wie werden die Menschen in Zukunft über die Themen Natur und Outdoor denken?
Ich hoffe und glaube, dass die Zeit in der Natur in einer Welt der multiplen Krisen eine Art »Therapie« sein kann. In Kanada kann man sich einen Urlaub im Freien auf Rezept verschreiben lassen. Ich kann mir vorstellen, dass die Zeit in der Natur – sei es in den Bergen, an der Küste oder im Wald um die Ecke – immer wichtiger wird.
Bezogen auf VAUDE haben wir jetzt die Transformation unseres klassischen Wirtschaftsmodells, so dass wir Produkte mit einem kleineren Fußabdruck herstellen können. Das ändert aber nichts daran, dass jedes neu hergestellte Produkt immer noch schädlich ist. Ich bin gespannt, wie wir unser Wirtschaftsmodell so verändern können, dass wir auch ein profitables Geschäftsmodell aufbauen können, ohne neue Produkte zu produzieren – sei es durch Verleihsysteme oder indem wir Produkte wieder auf den Markt bringen.
Etliches von dem, was du aufzählst, macht ihr ja schon. Also verleihen, reparieren. Verdient ihr damit Geld?
Im Moment ist es eine Investition. Aber als wir 2009–2010 angefangen haben, die Prozesse in Richtung Nachhaltigkeit umzustellen, war das ein kleiner Prozentsatz. Das Ganze hat sich dann über Jahrzehnte entwickelt und jetzt blickt man zurück und sagt: Alles richtig gemacht. Dieses Vertrauen müssen wir jetzt in die neuen Modelle einbringen.
Letzte Frage: Was ist dein Highlight-Produkt aus eurem Sortiment?
Das ist ein wasserdichter Berg-Rucksack – unser Rupal Proof 28. In Deutschland hergestellt. Den kannst du mit einer Eis-Axt bearbeiten und er bleibt intakt. Ein bisschen schwer, aber mein absolutes Highlight.