JUNO TALKS mit Dirk Haase
Die Art und Weise wie wir heute sterben und Abschied nehmen, benötigt einen Wandel und eine neue Endlichkeitskultur. Dirk, CMO der Ahorn Gruppe, erklärt, wie er dazu beitragen möchte.
Du bist seit Mitte 2024 bei der Ahorn Gruppe, dem Marktführer für Bestattungen in Deutschland. Wie kam es dazu?
Ich war 25 Jahre im Agenturbusiness und habe verschiedenste spannende Marken begleiten dürfen. In den letzten Jahren war ich auf Unternehmensberatungs-Seite und habe Unternehmen dabei unterstützt, ihre Marketing-Organisationen zukunftsfähig aufzustellen. Mich hat es immer gereizt, selbst eine Marke vorantreiben. An Ostern letzten Jahres rief mich der CEO von brand eins an, ein Freund von mir, und machte mich auf die Vakanz bei der Ahorn Gruppe aufmerksam.
Hast du lange nachgedacht?
Nein, gar nicht. Ich finde das Thema Leben und Tod wichtig und sehe großen Veränderungsbedarf zu der Art, wie wir damit umgehen. In den Medien sehen wir ständig Content rings um Sport, Jugend und Longevity – also Leistung und Fitness bis ins hohe Alter. Endet aber ein Leben, sind wir häufig unvorbereitet. Hier möchte ich gerne etwas verändern und aufbauen. Heute sind 20 Prozent der Deutschen – rund 17 Millionen Menschen – älter als 67 Jahre. Im Jahr 2030 werden es annähernd 19 Millionen sein.
Welche Herausforderungen siehst du aktuell bei den Themen Abschiednehmen und Trauern?
Die Kirche und der christliche Glaube verlieren als klassische Ansteuerungspunkte kontinuierlich an Bedeutung. Die religiösen und kulturellen Hintergründe in Deutschland werden vielfältiger. Unser Leben wird digitaler, individueller, mobiler. Unsere Familien sind oft über die ganze Welt verteilt. Das führt zu einer Art Vakuum beim Thema Abschied. Viele sind unvorbereitet und beschäftigen sich erst bei Eintritt oder kurz davor mit dem Thema. Nicht wenige stehen dann verloren da und fragen: Was mache ich jetzt? Als Ahorn Gruppe stehen wir hier zur Seite und bieten Trost sowie umfassende Beratung und Hilfe in einer emotionalen Ausnahmesituation. Ich bin Jahrgang 1971 und habe mich mit meinen Eltern nur wenig über ihre Vorstellungen zum Leben und dessen Endlichkeit austauschen können. Mein Vater ist vor drei Jahren verstorben und ich habe viel zu spät erkannt, wie wichtig solche Gespräche gewesen wären. Meine Mutter ist 82. Mit ihr suche ich verstärkt den Austausch, um eine gemeinsame, verbindende Sichtweise zur Endlichkeit zu bekommen. Mit meiner Arbeit möchte ich dazu beitragen, dass Menschen sich solchen Themen gegenüber öffnen.
Welche Ideen hast du dazu?
Im Jahr 2022 haben wir beispielsweise auf TikTok und Instagram das Format »@dertod_undwir« gestartet. Mittlerweile haben wir über 258.200 Follower auf TikTok und fast 81.100 auf Insta. Zusätzlich haben wir auch einen YouTube-Kanal. Unsere wöchentlichen Videos auf TikTok erreichen im Schnitt 1,5 bis 1,8 Millionen Personen.
Was zeigt ihr dort?
Zum Beispiel wie die Versorgung eines Verstorbenen erfolgt. Wenn wir einen Verstorbenen abholen – sei es zu Hause oder an einem anderen Ort – bringen wir ihn zu unserem Servicecenter. Dort wird er pietätvoll versorgt. Viele Menschen wissen gar nicht, wie solche Prozesse ablaufen. Kürzlich hat sich meine Kollegin Charlotte lebendig begraben lassen – vom Grabaushub bis zur Beisetzung. Das wurde gefilmt. Für Charlotte war das eine extreme Erfahrung. Und die vielen Reaktionen zeigen, welche Wirkung wir damit erzielen können. Denn solche Einblicke helfen, die Prozesse zu verstehen und sich Gedanken zu machen.
Damit wollt ihr gezielt die Jüngeren ansprechen?
Ja, unser Anspruch als Ahorn Gruppe ist es, das Thema Endlichkeitskultur in der Gesellschaft wieder stärker zu verankern. Wir möchten dem Tod und allem, was damit zusammenhängt, mehr Raum geben, weil wir glauben, dass das der Gesellschaft gut tut. Es geht darum, Hemmschwellen abzubauen und den Tod nicht nur als etwas Schreckliches zu betrachten, sondern auch als Verbindendes. Wir sehen ja, dass es auch junge Menschen interessiert.
Es hilft wohl auch, das Bild des Bestatters zu modernisieren, oder?
Ja. Salopp gesprochen sind wir Berater, Coach, Event-Manager, Vertrauensperson und Mitfühlender in einem. Früher hat die Kirche diese Rollen übernommen, heute genießt sie immer weniger Vertrauen. Daher kommen wir ins Spiel. Unser Beruf braucht sehr viel empathische Kraft, aber auch Organisationstalent und klare Qualitätsstandards. Wie wollen wir uns würdig von einem Menschen verabschieden und uns erinnern? Der Bedarf an Trauercoaching und Trauerbegleitung für den gesamten Prozess ist riesengroß und geht weit über die rein physische Bestattung eines Verstorbenen hinaus.
Welche Form der Bestattung wählen die meisten heute?
Pro Jahr sterben rund eine Million Menschen in Deutschland, davon werden 70 bis 75 Prozent feuerbestattet. Das war vor 25 Jahren anders. Damals wurde die Erdbestattung im Sarg und mit kirchlicher Trauerbegleitung bevorzugt. Es wurde mehr Wert auf die Zeremonie der Abschiednahme und das Gedenken währenddessen und danach gelegt. Heute, speziell im Osten, schauen viele wiederum auf geringere Kosten. Viele scheuen auch eine zeitintensive Grabpflege. Es gibt aber auch regionale Unterschiede und Bestattungsgesetze. In Bremen ist es als einziges Bundesland in Deutschland zum Beispiel erlaubt, die Asche eines Verstorbenen im eigenen Garten beizusetzen. In katholischen Regionen finden mehr Beerdigungen mit kirchlicher Begleitung statt als im Norden oder in den neuen Bundesländern. Hausaufbahrungen, die wir auch machen, findest du fast nur noch im Süden.
Auf eurer Website liest man: »Mit unserer Vielfalt ermöglichen wir Freiräume für ein individuelles Abschiednehmen«. Ihr bietet auf Wunsch also jede Art des Abschieds, sei sie auch noch so ausgefallen?
Im Prinzip ja. In unserem Portfolio befinden sich einige der traditionsreichsten Bestattungsunternehmen Deutschlands, wie beispielsweise Grieneisen aus Berlin, gegründet 1830. Von ihr wurden Mitglieder der Hohenzollern-Adelsfamilie, als auch Harald Juhnke bestattet. Wir versorgen mit unseren rund 100 Unternehmen und über 1.300 Mitarbeiter*innen jeden Verstorbenen mit der gleichen Würde und dem gleichen Anspruch an Qualität – vom Promi bis zum Menschen ohne Reichtum. In unserer Branche gibt es allerdings Unterschiede. Es gibt wahrscheinlich 6.000 Bestatter*innen in Deutschland. Der Beruf ist nicht geschützt. Das kann theoretisch jeder machen und es gibt viele Quereinsteiger*innen. Manche sind aus Handwerksbetrieben oder Tischlereien entstanden. Wir in der Ahorn Gruppe haben klare Qualitäts-Standards, sind DIN-zertifiziert und haben uns darüber hinaus weitere eigene Richtlinien auferlegt. Wir positionieren uns als Unternehmensgruppe mit hochwertigen Marken sowie als Qualitätsführer im Markt.
Welche gesellschaftlichen Trends sind für euch relevant?
Erinnere dich an Corona. Es wurden Menschen beigesetzt ohne angemessene Trauerfeiern, oder nur im kleinen Kreis. Ich hatte im Bekanntenkreis einen Fall, bei dem ein in Neuseeland lebender Vater verstarb und mein Bekannter nicht zur Trauerfeier rüber fliegen konnte. Das sind unumkehrbare Momente. Dafür beginnen wir, Infrastrukturen zu schaffen, um auch digital an Zeremonien teilnehmen zu können. Oder wir bauen Trauer- und Abschiedsräume, die rund um die Uhr zugänglich sind. Für eine progressive Klientel wird das Thema Umwelt immer wichtiger. Es gibt Pilz-Särge, die innerhalb von circa 40 Tagen einen Körper vollständig zersetzten und in renaturierte Erde umwandeln. Solche Möglichkeiten, aber auch die Energiebilanz von Bestattungsformen wollen wir aufzeigen und dazu beraten. Ich muss zugeben, dass unsere 100 Unternehmen sich hier noch auf unterschiedlichen Levels bewegen.
Wie digitalisiert ist eure Branche?
Digitalisierung ist in der Bestattungsbranche kaum angekommen. Das wandelt sich aber und es entstehen erste rein digitale Marken. Insgesamt sind Bestattungen noch eine lokale und intransparente Veranstaltung. Man weiß, wer damals jemand in der Verwandtschaft beerdigt hat, und geht vor Ort in seiner Stadt dort hin, wenn es so weit ist. Aber auch beim Thema Bestattung beginnt die Journey heute immer häufiger bei Google. Ich hatte kürzlich in meiner Familie einen Todesfall. Mein Cousin und meine Cousine wollten ihre Mutter beisetzen. Meine Cousine lebt in Spanien, mein Cousin in Süddeutschland und meine Tante war in Hamburg. Für sie war das eine Herausforderung, weil sie etwas emotional und persönlich Passendes suchten. Ihre Herangehensweise war, bei Google zu recherchieren. Wenn wir Leute dazu bringen wollen, sich früher mit dem Tod zu beschäftigen, müssen wir sie digital abholen, informieren und dort entsprechend begleiten. Hier wollen wir uns als Ahorn Gruppe klar positionieren und Transparenz schaffen.
Also zum Beispiel eure TikTok-Viewer an das Thema Vorsorge heranführen.
Ja genau. Wer früh beginnt, vorzusorgen mit ein paar Euro monatlich, kann sich später einen würdevollen und selbstbestimmten Abschied leisten. Wir registrieren, dass die Zahl der Sozialbestattungen ansteigt und die ist wirklich sehr, sehr schlicht. Man möchte doch so selbstbestimmt gehen, wie man gelebt hat. Eine Bestattung im mittleren Bereich kostet rund 6.000 Euro. Ein wesentlicher Anteil davon umfasst Gebühren sowie die Kosten für die Grabstätte. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Gesetzgeber eine Bestattungsvorsorge verlangen wird in Zukunft. Wir arbeiten aktuell an einem Vorsorgeplaner, der eine erste Indikation gibt, was eine Bestattung kosten könnte. Unser Ziel sind komplett digitale Beratungs- und Abschlussstrecken.
Wieso liest man jeden Tag über Altersvorsorge und ETFs, aber nichts zum Thema Vorsorge für den eigenen Abschied?
Man will sich nicht mit dem Thema beschäftigen und schiebt es vor sich her. Viele schließen daher erst im Alter von 65 bis 70 Jahre entsprechende Verträge ab. Eine Sterbegeldversicherung klingt ja auch zunächst erstmal uncool. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Jugend heute offener ist. Manche kennen sich bereits mit Geldanlage via App aus und verstehen den Sinn einer solchen Vorsorge. Und auch ganz selbstkritisch: Wir haben meines Erachtens für die jüngeren Generationen auch noch nicht die passenden, zeitgemäßen Produktangebote.
Lass uns in Zukunft blicken. Was kommt bei den Themen Abschied und Erinnerungskultur auf uns zu?
Das Thema digitaler Nachlass wird ein großes Thema werden. Was geschieht mit meinen Daten und den Social-Media-Profilen? Wie möchte ich digital erinnert werden? Wer hat Zugang? Man kann sich vorstellen, dass mithilfe von KI ein Mensch virtuell »weiterlebt«. Man kann dazu einen virtuellen Raum besuchen, die Stimme dieses Menschen hören und sich an sein Leben in Form von Bildern, Filmen, Texten oder gar seiner Biografie erinnern. Wir haben vor einiger Zeit die Messe »Leben und Tod« übernommen. Dort tauschen wir uns zweimal jährlich mit Hospizen, Seniorenheimen, Pflegekräften, Ärzt*innen, Palliativmediziner*innen und vielen mehr über neue Möglichkeiten aus.
Sprechen wir über das Thema Marke. Wie schaust du als Markenstratege auf deinen neuen Job?
Generell faszinieren mich Marken, bei denen Marke im Kern eines Unternehmens stattfindet und alle Bereiche beeinflusst – sei es Pricing, Artikelportfolio, Produktentwicklung, Personal oder Organisationsentwicklung. Die Ahorn Gruppe besteht mittlerweile aus 100 einzelnen Bestattungsunternehmen – darunter auch größere wie die TrauerHilfe Denk in München und Bayern mit über 80 Filialen. Genau genommen sind wir also mit 100 verschiedenen Marken am Markt. Die Ahorn Gruppe selbst ist eine reine Holding- und Corporate Brand. Für dieses Konstrukt eine klare, bundesweit gedachte Markenstrategie aufzusetzen, hatte für mich hohe Priorität zu Beginn. M&A ist ein weiteres wichtiges Thema und damit verbunden die Integration neuer Unternehmen in die Gruppe, die Vereinheitlichung unserer hohen Qualität über alle unseren aktuellen Einzelmarken sowie über die gesamte analoge-digitale Customer Journey hinweg.
Von außen betrachtet könnten Kund*innen denken, eure Marken haben nichts miteinander zu tun. Ich nehme an, die haben alle ihr eigenes Branding und sind wohl nur lokal, beziehungsweise regional bekannt?
Ja, so ist es. Natürlich haben alle denselben hohen Anspruch an Qualität. Außerdem schauen wir sehr genau hin, welche Unternehmen wir übernehmen und fahren dazu einen strengen Auswahlprozess. Aber ja, das Thema Markenarchitektur beschäftigt mich ebenso wie die Arbeit an einem veränderten, zeitgemäßen Image der Marken. Strategisch möchte ich weg vom klassischen Bestatter-Bild in den Köpfen und hin zu einer modernen Plattform für Endlichkeitskultur, die Menschen schon frühzeitig gut vorbereitet, berät und individuelle Lösungen anbietet. Damit Menschen sich genauso verabschieden und aneinander erinnern können, wie sie gelebt haben und es sich wünschen.