JUNO TALKS mit Marlene Freienstein
Mit Marlene Freienstein von Polestar sprechen wir darüber, wie man mit auffällig unauffälligem Design eine neue Automarke zur begehrten Designbrand im Autoland Deutschland macht.
Marlene Freienstein ist Head of Marketing von Polestar Deutschland. Sie hat die junge skandinavische E-Automarke für den deutschen Markt seit 2020 von Beginn an aufgebaut. Zuvor war sie viele Jahre in der Unternehmensberatung mit den Schwerpunkten strategischer Planung, Marken- und Kund*innenkommunikation sowie der Entwicklung nahtloser Customer Journeys. Polestar war ursprünglich eine Tuningmarke von Volvo, bevor sie 2017 unter dem Dach von Volvo und Geely zu einer eigenständigen Marke für Elektroautos wurde.
Bevor du 2020 zu Polestar kamst, warst du etliche Jahre bei einer Unternehmensberatung. Was hat dich an der neuen Aufgabe gereizt? Polestar war ja damals quasi noch unbekannt in Deutschland.
Stimmt, ich kannte die Marke damals gar nicht. Nach den ersten Gesprächen war mir aber gleich klar: Da will ich hin. Wie oft bekommt man die Chance, eine solche Marke mit aufzubauen und die Mobilitätswende aktiv mitzugestalten? Das ist wirklich eine Once-in-a-Lifetime-Aufgabe. Die Kolleg*innen, das Design, der ganze Ansatz war besonders und fühlte sich gar nicht typisch Automotive an.
Wie baut man im Autoland schlechthin eine neue E-Automarke auf?
Als ich anfing, gab es noch nicht mal Fahrzeuge, sondern nur unsere starke Vision. Wir haben dann Köln als zentral gelegenen Standort gewählt und konnten anfangs Infrastruktur und Räumlichkeiten von unserer Mutter Volvo nutzen. Es war aber schon viel Aufbauarbeit und zu Beginn waren wir bei Polestar Deutschland insgesamt nur eine Hand voll Kolleg*innen. Wir haben dann schnell passende Partner*innen und Investor*innen gesucht. So sind wir gewachsen. Im Marketing für Deutschland sind wir heute zu fünft inklusive Praktikant*in.
Was lief in der Anfangszeit gut? Was weniger?
Man macht natürlich eine Menge Fehler. Wir haben am Anfang versucht, uns breit aufzustellen – so wie man das aus der Automobilbranche kennt. Also viel Out-of-Home, viel TV. Dann haben wir gemerkt, dass das unsere Budgets sprengt. Wir haben dann 2021 den Fokus auf Live-Kommunikation gelegt und viele Test-Drive-Events gemacht, um die Menschen mit der Marke in Berührung und direkt in die Autos zu bringen. Wir haben zudem in PR investiert und waren in den ersten drei Jahren, also 2021 bis 2024, digital stark unterwegs – fast ausschließlich durch Online-Marketing und mit viel Retargeting. Dieses Jahr haben wir die Strategie etwas angepasst und versuchen wieder breiter Bekanntheit aufzubauen. Denn wir sehen, dass unsere engere Zielgruppe uns mittlerweile gut kennt.
Ich nehme an, ihr prüft eure Strategie durch regelmäßige Messungen.
Ja, Ganzjahresdaten sind wichtig. Aber es ist tatsächlich so, dass ich jede Woche mit dem Management zusammensitze und wir uns die Marketing-KPIs anschauen.
Welche KPIs sind das?
Wir schauen uns die gestützte und ungestützte Markenbekanntheit an. Die tracken wir alle vier Wochen. Dann die Brand Searches – also wie viele Menschen unsere Marke im Internet suchen. Wir schauen uns auch an, wie viele Besucher*innen auf unserer Website sind, weil wir dort die Fahrzeuge verkaufen. Dort sehen wir auch die Anzahl der Konfigurationen und die Probefahrten.
Das Polestar Brand Design wurde ja 2017 in Schweden von Stockholm Design Lab entwickelt. Als du dazu kamst, konntet ihr natürlich schon damit arbeiten, oder?
Ja, die globale Strategie kam und kommt aus Schweden. Mittlerweile entwickeln wir mit einem eigenen internen Team alle Kampagnen selbst. Wir in den Märkten stehen im engen Austausch mit dem Headquarter und setzen die Kommunikation lokal um.
»Come on, let’s create a new Scandinavian brand that is actually catered to capture those customers – a bit more provocative, a bit more controversial, [something that’s] not pleasing everybody.« So beschreibt euer CEO Thomas Ingenlath seinen Anspruch an die Brand Polestar und nennt als Beispiel den neuen Polestar 4, der keine Heckscheibe mehr besitzt. Man sieht dort per Kameratechnologie im Rückspiegel, was hinter dem Auto geschieht. Was bedeutet die Marke Polestar für dich ganz persönlich?
Sie hat einen sehr großen Raum in meinem Leben eingenommen. Ich liebe und lebe die Marke. Ich liebe ihren Look & Feel und das Team. Die Marke ist sehr designaffin, sehr clean. Wir sind auffällig unauffällig. Nicht laut und bunt, sondern sehr zurückgenommen. Das macht die Marke im Automotive-Kontext interessant. Auch das Team ist branchenuntypisch. Wir haben Schnittstellen zu Tech, zur Fashion und zum Interior Design. Wir sind eine Premium-Luxus-Designmarke.
Würdest du sagen, ihr seid eine europäische Marke?
Ja, definitiv. Wir sind skandinavisch in unserer Designsprache, unsere Touchpoints sind zurückgenommen. Unsere Autos und Spaces sind sehr puristisch und minimalistisch. Das zieht sich durch alle Kanäle – ob Website, Spaces oder Werbekampagnen. Wir wollen diese klare Sprache beibehalten. Auch die Unternehmenskultur ist skandinavisch und europäisch.
Euer CEO spricht davon, dass Polestar eine bestimmte Begehrlichkeit weckt. Du redest in Interviews von der eigenen Magie der Marke. Was denkst du, worin besteht diese Magie?
Für mich persönlich ist das Design ein großer Teil davon. Es ist puristisch und schafft ein Gefühl von Exklusivität und stilvollem Luxus. Unsere Kund*innen wollen Teil von etwas Besonderem sein. Mit einem Polestar können sie ein Statement durch Understatement machen. Das andere ist das Gefühl, wenn man drinsitzt. Nehmen wir zum Beispiel den Polestar 3. Der bietet ein super dynamisches Fahrgefühl, man hat sehr viel Platz und das ganze Infotainmentsystem ist intuitiv.
Aber ist Design auch ein echter Kaufgrund für eure Kund*innen?
Design ist tatsächlich der größte Kauftreiber. Fast 40 Prozent unserer Kund*innen geben an, dass Design das wichtigste Merkmal ist. Ansonsten wird oft das Preis-Leistungs-Verhältnis genannt. Performance und Reichweite sind ebenfalls wichtige Kauftreiber.
Würdest du so weit gehen zu sagen, ihr seid eine Designbrand, die im ersten Schritt Autos verkauft?
Wir bleiben eine Automotive Marke, auch wenn wir mittlerweile einige Additionals haben. Aber der Fokus liegt klar auf unseren Autos.
Mit welchen Marken vergleicht ihr euch?
Im Automotive-Bereich strecken wir unsere Fühler Richtung Porsche aus. Mit Volvo verbindet uns natürlich eine lange Partnerschaft sowie die Markenwerte Nachhaltigkeit und Sicherheit. Wir vergleichen uns aber auch mit deutschen Premiumherstellern und auch Tesla. Tesla war ein Wegbereiter für die Elektromobilität, davon haben auch wir profitiert. Bei unseren Kollaborationen arbeiten wir gerne mit designaffinen Marken zusammen, wie Houdini im Fashion-Bereich.
Wer sind die Käufer*innen von Polestar?
Unsere Zielgruppe lässt sich nicht nur an demografischen Merkmalen festmachen. Es sind Menschen, die sich für Nachhaltigkeit, Luxus, Design, Innovation und Performance interessieren. Wir haben verschiedene Zielgruppen für unsere drei Modelle. Der Polestar 2 und Polestar 4 spricht eher Innovationsliebhaber*innen an, während der Polestar 3 Luxusdesign-Fans begeistert.
Wie erreicht ihr speziell diese designorientierte Community in Deutschland?
Indem wir vor allem stringente Markenerlebnisse bieten. Alle Touchpoints müssen dieselbe Sprache sprechen, damit sich eine designaffine Zielgruppe wie zum Beispiel Architekt*innen abgeholt fühlt. Dann ist Live-Kommunikation wichtig. Wir hatten zum Beispiel vor kurzem ein Event mit Architectural Digest in Berlin und unserem Chefdesigner Maximilian Missoni. Dazu laden wir dann exklusiv ein. Das flankieren wir durch sehr gezielte Online-Kommunikation und PR. Zudem tragen wir Designwettbewerbe aus, die dann in der Fachpresse wie Designboom besprochen werden.
Das Besondere an eurer Journey ist, dass man Polestars nicht im Autohandel kauft, sondern ausschließlich online. Allerdings habt ihr in besten Innenstadtlagen Showrooms, in denen man sich die Fahrzeuge ansehen kann. Ihr nennt sie Spaces. Kannst du zu diesem Konzept etwas sagen?
Uns ist wichtig, dass wir unseren Anspruch an Design im Kund*innenerlebnis selbst steuern können und nicht aufweichen. Das können wir durch unseren digitalen D2C-Ansatz sehr gut. Auf unserer Website interagieren Kund*innen quasi direkt mit Polestar und konfigurieren sehr genau, was sie wollen. Die gleiche Hochwertigkeit erleben sie, wenn sie eine Kampagne von uns sehen, oder sich in den Spaces bewegen.
Eure visuelle Sprache ist oft sehr hell und architektonisch. Auch in den Spaces herrscht ein bestimmtes Licht. Kannst du das ein wenig beschreiben?
Unser Licht im Space ist relativ kühl, nordisch würde ich sagen. Wir haben Light-Boxen über den Autos, um sie in Szene zu setzen. Das Licht ist eher wie der Tag, nicht der Abend oder die Nacht. Es vermittelt Helligkeit und Klarheit. Dieser Fokus, diese Entschiedenheit durch Reduktion aufs Wesentliche im Zusammenspiel aus Design und Technologie macht unsere Marke begehrlich und unterstreicht unsere Scandinavianness. Als wir 2020 gestartet sind, war unser Slogan »Pure Progressive Performance«. Der Begriff »Pure« beschreibt ein Kernelement unserer Designsprache immer noch sehr gut.
Polestar steht für Leitstern und Führungsanspruch. Bei euch stößt man immer wieder auf die Begriffe Innovation und Technologie. Wie begründet ihr den Führungsanspruch hier?
Als junge Marke haben wir die Möglichkeit, vieles anders zu machen. Wir waren das erste Auto weltweit mit Google als Betriebssystem. Das gab es vorher noch nicht. Ein anderes für uns wichtiges Thema ist die Transparenz. Wir haben unser Lifecycle Assessment, wo wir ganz transparent machen, was wir in unserer Produktion benutzen. Damit versuchen wir, die Branche positiv zu verändern.
Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit für euch?
Nachhaltigkeit ist neben Innovation, Design und Performance einer der stärksten Markenwerte für Polestar. In Umfragen haben wir gesehen, dass Nachhaltigkeit allerdings nicht DER Kauftreiber ist, weshalb sich Kund*innen für einen Polestar entscheiden. Da stehen die anderen weiter vorn.
Was steht als nächstes bei euch an?
Dieses Jahr kommen der Polestar 3 und 4 nach Deutschland und ab spätem Sommer sind Probefahrten möglich. Das hält uns gerade sehr beschäftigt, weil wir schlagartig drei Autos haben, um die wir uns kümmern müssen. Das bedeutet viel Arbeit in den nächsten sechs Monaten.