JUNO TALKS mit Markus Storck
Wie Markus Storck aus einem geplatzten Lebenstraum eine der erfolgreichsten deutschen Brands für Rennräder geformt hat. Ein Talk über Koi-Karpfen mit Drachenflügeln, Windschnitt, Need for Speed und vor allem über Design.
Markus Storck ist ein deutscher Fahrraddesigner sowie Geschäftsführer und Gründer von Storck Bicycle.
Wie kamst du zum Fahrrad-Design?
Ich wurde in eine Fahrradfamilie reingeboren. Mein Großvater war Berufsradfahrer und auch seine vier Brüder waren alle Radrennfahrer, zwei davon als Profi. Das wollte ich auch, aber es wurde festgestellt, dass ich nur eine Niere habe und da ist mein Traum vom Hochleistungssport zerplatzt. Ich habe dann eine kaufmännische Ausbildung nachmittags im Fahrradladen meiner Eltern gemacht und die Zweigstelle ihres Ladens in Frankfurt Sossenheim geleitet – damals war ich 14 Jahre alt.
Und dort hast du auch deine Leidenschaft fürs Geschäft entdeckt?
Ja, wir waren der erste Händler von Cannondale, dann Trek. Mein Gründungskapital für meine eigene Firma später habe ich mir durch die Vermittlung der Marke Specialized nach Deutschland verdient. Das waren 14.000 Mark damals. Und damit habe ich mit 22 Jahren meine erste eigene Marke namens Bike-Tech gegründet. Tagsüber habe ich in der Zeit im elterlichen Laden gearbeitet und nachts am Commodore-Computer Rechnungen geschrieben und Ware ausgeliefert. Für Kund*innen stellte ich da Fahrräder zusammen und habe Rahmendesign gemacht.
Wann war das?
Das war 1988. Bei Bike-Tech haben wir aber auch schon Teile designt, darunter 1993 die mit 280 Gramm Gewicht bis dato leichteste Kohlefaserkabel-Kurbel auf dem Markt. 1995 wurde dann die Marke Klein, mit der ich im Handel am meisten Umsatz machte, an Trek verkauft und ich stand mit dem Rücken zur Wand. Da habe ich mir gesagt: Jetzt studierst du Transportation Design in Pasadena. Der Professor dort meinte zu mir: »Du bist mit Anfang 30 Jahren schon zu weit. Du hast eine Firma geleitet und Design entwickelt. Geh zurück. Mach dein Ding. Und komm als Lehrender zurück.« Das habe ich gemacht und ab 1995 dann unter dem Markennamen Storck Räder auf den Markt gebracht.
Welche Idee von Design fasziniert dich?
Für mich ist Design immer gekoppelt an Technologie und folgt dem Credo »Form follows function«. Und so läuft auch unser Designprozess ab: In einem Lasten- und Pflichtenheft legen wir zuerst genau fest, was wir wollen. Dann wählen wir die Produzent*innen mit den passenden Technologien oder entwickeln mit ihnen, falls notwendig, eine eigene Technologie. Dafür erarbeiten wir dann ein gutes und zeitloses Design.
Eure Räder gelten als besonders aerodynamisch. War das erste in einem Windkanal getestete Automobil – der Chrysler Airflow – eine Designinspiration für dich?
Nein, eher der Mercedes Silberpfeil, weil er zugleich minimalistisch und sauschnell war. Bei Chrysler hat man sich überlegt: Wie macht man ein großes Auto schneller? Die Leute bei Mercedes haben sich dagegen vorgenommen: Wir wollen ein schnelles Auto bauen. Aerodynamik ist für uns eher die Folge unseres Wunschs nach einem schnellen und leichten Fahrrad. Viele Designer*innen stellen die Gestaltung nach vorn. Die Philippe Starck Zitronenpresse ist für mich so ein Beispiel. Da steht das Design im Vordergrund, aber nicht die Funktionalität.
Gibt es ein Produkt, bei dem dir das Herz aufgeht in punkto Design?
Benchmark ist definitiv der Porsche 911. Warum? Weil er seit 50 oder 60 Jahren seine Form behält und trotzdem modern bleibt. Das gilt auch für Schrifttypen. Unsere Wortmarke haben wir beispielsweise immer moderat verändert. Mal die Serifen in den Punzen der Buchstaben weggenommen. Aber wir haben nie einen radikalen Bruch gemacht. Und damit etablierst du natürlich deine Marke über die Zeit.
Im Jahr 1995 gründest du die Marke Storck und bringst damit Rennräder sowie ein Triathlon- und Mountainbike auf den Markt. Welche Rolle spielt in den Anfängen der Marke das Thema Design für dich?
Ich wollte von Beginn an mit Storck technisch herausragende, aber auch zeitlos schöne Produkte machen. Deshalb haben wir früh am Red Dot Design Award teilgenommen und mit dem Storck Adrenalin gleich »Best of the Best« gewonnen. Das war ein Hammer. Danach habe ich mir vorgenommen, 100 Design Awards im Leben zu gewinnen.
Ist das der Designpreis, auf den du am stolzesten bist?
Ja, weil er die Initialzündung von allem war und mich persönlich gekickt hat. Ich bin Wettbewerbsmensch. Radsport konnte ich auf höchstem Level nicht selbst ausüben – aber ich will trotzdem gewinnen. Ich möchte immer wieder das beste und schnellste Fahrrad bauen und dafür Höchstnoten bekommen. Bei vielen Leistungsportler*innen, die später in die Industrie gehen, ist das so.
Damit geht aber auch ein erhebliches Investment einher. Wer in Deutschland Designpreise gewinnt, muss für die Nennung ja ordentlich bezahlen.
Na klar, das ist so. Ich weiß dafür, dass es den Verkaufserfolg steigert.
Wie könnt ihr das messen?
Der Erfolg von Design ist messbar. Wir haben Befragungen dazu gemacht. Und wenn die FAZ berichtet, dass wir den 100. Design Award geholt haben, strahlt das direkt auf unsere Marke ab. Aktuell haben wir 128 Design Awards gewonnen. Jetzt will ich aber gerne 200 gewinnen.
Ist Design ein echter Kaufgrund für ein Storck-Bike?
Für den*die Viel- und Wettkampffahrer*innen steht Design nicht ganz oben. Der*die will vor allem Performance. Wenn aber Leistung mit gutem Design zusammenspielt, wird ein Produkt zeitlos und nachhaltig. Mein Ansatz: Ein von Anfang an gut gestaltetes Produkt – also auch technisch gut designt – ist werthaltig und nachhaltig. Denn auch nach 10 Jahren wird es als gutes und schönes Produkt erkannt und geschätzt. Nachhaltigkeit ist für uns wichtig. Viele unserer Kund*innen benutzen Storck-Räder, die über 30 Jahre alt sind. Ich bin jetzt letztens durch Idstein spazieren gegangen und da stand ein Storck Organic von 1998. Und dann sagst du dir: Super, das ist ein nachhaltiges Produkt!
Wer kauft eure Bikes?
Viele unserer Kund*innen sind selbständig oder in Führungspositionen und haben hohe Ansprüche an Qualität und Design. Es sind eher männliche Kunden auf der Suche nach Performance, Technik und einer schönen, funktionellen Form. Gekauft werden wir auch von reinen Sammler*innen wie Johann Lafer. Von Studierenden, die sich das Geld zusammensparen. Vom thailändischen König, der sich drei Mountainbikes in verschiedenen Farben von uns bauen ließ. Von Ästhet*innen wie Norman Foster und sogar von Formel 1 Fahrer*innen wie Nico Rosberg. Neben dem stand ich mal in kleiner Runde bei einem Grand Prix und da meinte er, unsere Bikes seien diejenigen, von denen er träumt. Da freut man sich.
Was begeistert Menschen so sehr an einem Rennrad?
Mich begeistert vor allem die Technologie. Wir bauen Rennräder, die rund sechs Kilogramm wiegen, aber Fahrer*innen mit 50 Kilo genauso wie jene mit 110 Kilo Körpergewicht und völlig unterschiedlichen Fahrstilen sicher tragen. Unsere Stiletto-Gabel, die wir 1995 entwickelt haben, lag damals unter 300 Gramm und der Kurbelsatz bei 300 Gramm Gewicht. Das sind heute noch Rekordwerte. Für unsere Kund*innen bedeutet das ein unvergleichbares Highspeed-Feeling. Wenn du so eine Technologie unter deinem Hintern hast, dann verbringst du auch viel Zeit auf dem Rad. Und das ist eine hochgradig emotionale Zeit.
Woher holt ihr euch die Inspirationen für euer Design?
Ich denke, wir treten viel selbst los. Ich bin viel unterwegs und bringe Ideen oder neue Materialien aus anderen Branchen in die Unsrige. Zum Beispiel das Thema »Matt«. Ich habe für Rolex eine Uhr designt, bei der ich zwei Matt-Töne miteinander kombiniert habe: Gebürstet und gestrahlt. Man hatte den Eindruck, so etwas wurde noch nicht gemacht.
Wieso machst du Design für Rolex?
Außerhalb von Storck werde ich immer wieder für spezielle Designaufgaben angefragt. Zum Beispiel für Hymer, Aston Martin oder eben Rolex. Das sind Dinge mit Editions-Charakter, die unter dem Label One of Seven by Blaken laufen.
Bist du bei Storck in jeden eurer Designprozesse noch selbst involviert?
Ja, denn es macht mir Spaß und ich möchte es noch einige Jahre machen. Außerdem hält es mich jung. Ich werde demnächst 60, fühle mich aber im Kopf eher wie 30. Mein Körper zeigt mir schon die eine oder andere Grenze auf, klar. Aber wir machen immer noch viel, oder nehmen es uns vor. Ich will Wellenreiten lernen, war ohne Training auf dem Kilimandscharo, bin letztes Jahr in meiner Altersklasse E-Bike-Weltmeister geworden und will demnächst auf den Aconcagua in Südamerika. Ich mag so verrückte Sachen.
Wie muss man sich Markenführung bei dir vorstellen?
Wir haben einen Entwicklungsplan, der vier bis fünf Jahre vorausgreift und auf die Entwicklungszyklen der Produkte abgestimmt ist. Die Zauberformel ist hierbei: Eine vernünftige Planung gepaart mit einem Speedboat an Umsetzung. Du musst reaktiv bleiben in einem Markt, der auch von den Komponentenhersteller*innen getrieben ist. Wir werden jetzt ein minimalistisches E-Free bauen, also in einer neuen Kategorie. Deswegen sage ich, wir machen sehr häufig Märkte. Aus dem Bauch heraus machen wir nur, wenn wir glauben, eine geniale Idee zu haben, mit der wir keine zwei Jahre warten wollen. Wir sind die letzten drei Jahre im Schnitt um 60 % gewachsen.
Wo würdest du den Namen Storck als Sponsor am liebsten sehen?
Um eine Tour-de-France-Mannschaft zu sponsern, brauchst du eine Menge Geld. Aus meiner Sicht sitzen die Fahrer*innen nicht auf dem besten Material, sondern auf dem am besten bezahlten. Ich würde mich freuen, wenn ich eines Tages jemanden hätte, der*die sagt: Ich möchte, dass meine Mannschaft auf dem schnellsten Material sitzt. Dann würden meine Fahrräder auch zu den Siegen gefahren werden, die ihnen eigentlich von den Testergebnissen des Materials her zustehen.
Welche Entwicklungen siehst du beim Thema Rennrad in Zukunft?
In Deutschland werden rund 200.000 bis 250.000 Rennräder jährlich verkauft. In China sind es dieses Jahr wohl 2 Millionen Rennräder. Außerdem wird in Ländern wie Südafrika das Rennradfahren immer populärer. Da können wir also noch viel erwarten.
Dein rechter Arm ist voller Tattoos. Was war hier die Idee hinter dem Design?
Mein erstes Tattoo war der Buddha hier oben. Ich bin mal in Thailand wegen einer Lebensmittelunverträglichkeit schwer krank gewesen. Danach habe ich mir den stechen lassen. Das hier unten ist ein Koi-Drache – ein mutiger Karpfen, dem die Götter Flügel verliehen, weil er einen Wasserfall überwunden hat. Du entscheidest, in welche Richtung dein Koi zeigt. Zeigt er nach unten, heißt das »Down the stream, easy life«. Wenn er aber nach oben zeigt, bedeutet das, dass du gegen den Strom schwimmst. Und bei dem Koi-Drachen bedeutet es, dass noch mehr Wasserfälle überwunden werden müssen.